6. Dezember 2021

21. Bremer Dokumentarfilm Förderpreis

Das Filmbüro vergab seinen Recherchepreis an vier Projekte - es geht darin sowohl um Aufarbeitung von Familiengeschichte, um die Behinderung persönlicher Entwicklung, als auch um vom Klimawandel bedrohte Nomaden und den interkontinentalen Weg des Farbstoffes Karmin. Mit dem Preisgeld werden die Autorinnen und Autoren nun weiter recherchieren und ihr Konzept ausarbeiten.

dokpreis21 mit text
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Der Bremer Dokumentarfilm Förderpreis wird seit 1991 vom Filmbüro Bremen vergeben und war von Beginn an einzigartig: prämiert werden Ideen für neue Dokumentarfilmstoffe. Diese können mithilfe des Preisgeldes recherchiert und zur Produktionsreife weiterentwickelt werden. Einer der Preise geht an ein Bremer Projekt.

Die Projekte wurden der Jury wieder anonymisiert vorgelegt, so dass die Entscheidung ausschließlich aufgrund des vorliegenden Projektes, unabhängig von Erfahrung und Bekanntheitsgrad der Autor:innen gefällt wurde. Das Preisgeld in Höhe von 12.000 Euro wird vom Senator für Kultur und aus Spendengeldern bereitgestellt.

DOK Jury 2021 O.Baruk. K.Karger. E.Knopf
DOK Jury 2021 O.Baruk. K.Karger. E.Knopf

Die diesjährige Jury bildeten
Olga Baruk, Filmkritikerin, Berlin
Knut Karger, Autor und Regisseur, ehem. Preisträger des Bremer DOK Preise (FÜR DEN ERNSTFALL, 2006), Professor für Bewegtbild, München
Eva Knopf, Filmemacherin, ehem. Preisträgerin des Bremer DOK Preises (MYANMARKET, 2017), Dozentin für künstlerisch-ästhetische Praxis Fotografie und Film, Berlin/Bremen

Aus den eingereichten 35 Dokumentarfilm-Konzepten wurden nach zweitägiger Diskussion folgende vier ausgezeichnet (alphabetische Reihenfolge):

KARMIN von Philip Widmann und José María Avilés, Berlin

Karmin (AT) ist eine filmische Untersuchung zu den Verbindungen von Schönheit, Kolonialismus, dem Abbau natürlicher und dem Raubbau kultureller Ressourcen. Anhand von Aufzeichnungen eines Schweizer Anthropologen begibt sich der Film in die Untiefen europäischer Archive und in die Grenzregion zwischen Ecuador und Kolumbien. Zwischen diesen weit auseinanderliegenden Orten folgt Karmin der Spur des gleichnamigen roten Farbstoffs.

Jurybegründung: Der Film KARMIN wird der Spur des Farbstoffs durch das koloniale Archiv in die Gegenwart folgen, dabei weder linear noch chronologisch erzählen. Eine multimediale, transatlantische Kollaboration in Auseinandersetzung mit geraubten Kulturgütern, Macht, Begehren, Schönheit und der Farbe Rot. Der Bremer Dokumentarfilmförderpreis möchte bei diesem Projekt nicht nur die Recherche, sondern insbesondere auch das Suchen und Finden einer zeitgemäßen, interkulturellen Erzählweise in Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Gegenwart unterstützten.

José María Avilés, 1988 in Cuenca, Ecuador, geboren. Master in creation an der Elías Querejeta Zine Eskola, San Sebastián, Bachelor in Filmregie an der Universidad del Cine, Buenos Aires. Sein erster Spielfilm Al Oriente wurde bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2021 uraufgeführt. Seine vorherigen Filme wurden u.a. beim IFF Rotterdam, dem Festival de San Sebastián und BAFICI gezeigt.

Philip Widmann macht Filme, Texte und Filmprogramme. Seine Film- und Videoarbeiten werden auf internationalen Filmfestivals und in Kunsträumen gezeigt, darunter Berlinale, IFF Rotterdam, Views From the Avant-Garde / New York FF, Yamagata International Documentary Film Festival, FID Marseille, CPH:DOX, Visions du Réel und Wexner Center for the Arts. Den Bremer Dokumentarfilm Förderpreis erhielt er bereits für DIE RUINEN VON B (2016) und 2012 für SZENARIO. 2022 wurde er in die Juy des 22. Bremer Dokumentarfilm Förderpreises berufen.

OPA ROLF von Simone Catharina Gaul, Berlin

Da liegt es. Das Manuskript meines geliebten Opas. Ein autobiografischer Text über seine Zeit in der SS. Bisher wollte ihn niemand aus der Familie lesen. Ein Film über eine Spurensuche. Und die Frage: Was ist Erinnerung?

Jurybegründung: Zu überwältigend ist die Tatsache, dass Menschen, die wir lieben oder geliebt haben, zu den Bösen gehörten. Das zu begreifen fällt schwer, oft fehlen der Mut und die Bereitschaft für eine Auseinandersetzung. Und was nicht gedacht werden will, wird verdrängt oder verzerrt. OPA ROLF will eine längst fällige Reise in die eigene Familiengeschichte unternehmen. Unprätentiös, elegant und künstlerisch vielversprechend ist diese Idee eines persönlichen Films, der in seiner Relevanz über das Private weit hinausgeht. Eine dokumentarische Arbeit, die gegen die Verzerrung der Vergangenheit im kollektiven Gedächtnis ankämpfen und die Zuschauer*innen dazu ermuntern möchte, sich mit ihrer eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Für die Jury ganz klar ein Film, der gemacht werden muss.

Simone Catharina Gaul studierte Romanistik und Politik in Stuttgart und Paris, anschließend Regie an der Filmakademie Baden- Württemberg. Ihr Diplomfilm "Bintou" wurde für den First Steps Award nominiert und auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt und ausgezeichnet. Ihr Debüt "Die neuen Kinder von Golzow", feierte 2017 auf dem Leipziger Dokumentarfilmfestival Premiere. Sie arbeitet außerdem als Redakteurin für ZEIT ONLINE und lebt in Berlin.

THE WOLVES ALWAYS COME AT NIGHT von Gabrielle Brady, Berlin

Als sie verzweifelt feststellen, dass ihr gesamtes Vieh bei einem plötzlichen Kälteeinbruch über Nacht getötet wurde, sind die traditionellen mongolischen Hirten Anktuya und Dorji gezwungen, in ein Jurten-Viertel in der Stadt zu ziehen. Während sie versuchen, sich an diese neue, von der Natur abgeschnittene Welt anzupassen und diesen bitteren Identitätsverlust zu überstehen, droht die Familie zu zerbrechen.

Jurybegründung: Die Mongolei steht an einem Scheideweg. Nomadentradition trifft auf die wirtschaftliche Realität der Globalisierung und auch der Klimawandel erreicht dieses Land. In dichten Bildern erzählt das Filmkonzept von den Verwerfungen in der Mongolei. Die Familie von Anktuya und Dorji steht dabei exemplarisch für die vielen Schicksale. Verlust von Tradition, Identität und Heimat gehen einher mit globalen Wetterveränderungen, Ausbeutung von Ressourcen und Arbeitsmigration. Neben der starken Relevanz dieser Themen hat die Jury der künstlerische Ansatz überzeugt: Die eingereichten Rechercheaufnahmen weben ein feines Netz um die erzählten Geschichten. Dabei wird die Frage aufgeworfen, wie Globalisierung unseren Planeten bis in die entlegensten Winkel, bis in die einzelne Jurte hinein für immer verändert.

Gabrielle Brady ist Filmemacherin und lebt in Berlin. Sie studierte Filmregie an der Internationalen Filmschule in Kuba (EICTV).
Ihre Arbeiten wurden international in Galerien, auf Festivals und in Kinos gezeigt. Ihr preisgekrönter Debütspielfilm ISLAND OF THE HUNGRY GHOSTS (2019) wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem als bester Film auf dem Tribeca Filmfestival in New York.

ZU ZWEIT (AT) von Ricarda Fallenbacher und Hiba Abdallah, Bremen/Hamburg

Zwei Frauen - eine Geschichte. Hiba studiert Soziale Arbeit, sie ist Deutsch-Libanesin und Rollstuhlfahrerin. Ricarda studiert Kunst, sie arbeitet als Assistentin für Hiba, ist für sie Hände und Füße. Die gemeinsamen Tage bringen sie zusammen - Pflege und Privates vermischen sich. Eine forschende und eine künstlerisch tätige Frau, eine mit und eine ohne Migrationshintergrund. Die Persönliche Assistenz wird zum Spannungsfeld von gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Fragen.

Jurybegründung: Das vorgeschlagene Konzept lässt einen sehr subjektiven und emotionalen Film erwarten. Aus dem Zweier-Kosmos heraus werden wichtige Fragen gestellt: nach Distanz und Nähe, nach Professionalität in der Pflege, nach Grenzen zwischen Arbeit und Freundschaft. Darüber hinaus spiegelt das Konzept die Gesellschaft wider und zeigt, wie eine Frau mit Migrationshintergrund und im Rollstuhl sitzend immer wieder diskriminiert wird. Die Jury erwartet einen wichtigen Film zur richtigen Zeit – unsere exklusive Gesellschaft muss sich endlich der Inklusion stellen. Das geht nur mit einem persönlichen Blick, dabei darf der Film die Grenze zum Privaten disruptiv ausweiten. Ein klares Bekenntnis zur intersektionalen Gerechtigkeit!

Ricarda Fallenbacher studiert Freie Kunst in Bremen. Im Wechselspiel aus verkopfter Betrachtung und intuitiver Übersetzung stellt sie Fragen, skizziert und sammelt filmische Notizen. Mit dem Erschließen von Kontexten im Dialog mit ästhetischen Beobachtungen öffnet sie sensible Räume, in denen Erzählungen stets den Anschein einer Prozesshaftigkeit und Flexibilität behalten. In diesem Sinne collagiert sie verschiedene Medien, Materialen und Erzählstrategien zu Geschichten.

Hiba Abdallah studiert Soziale Arbeit in Hamburg. In ihrer Forschung widmet sie sich Themen ihrer eigenen Intersektionalität: Frausein, Migration und Behinderung. Ihren geografischen Fokus setzt sie dabei auf ihre Herkunftsländer Deutschland und Libanon. Als Leitung ihres eigenen Assistenzteams, als Koordinatorin ihrer Arme und Beine, gehen ihre Forschungsinteressen und täglichen Bedarfe eine frustrierende und zugleich fruchtende Symbiose ein.

Der Bremer Dokumentarfilm Förderpreis wird ermöglicht durch Projektmittel des Senators für Kultur und durch Spendengelder.

Der Senator fuer KulturUND Filmbuero
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