18.5.2014, 13 Uhr: Güterbahnhof Bremen

Filmpremieren auf dem Kunstfrühling

Filmpremieren mit Deborah Uhde "Ene Mene Mu", Annette Ortlieb "Tisma in Context" und Marikke Heinz-Hoek "Die Ohnmacht des Hühnergotts".

Der Maler Olaf Marxfeld ist auf der Bremer Kunstausstellung in den großen Gleishallen des ehemaligen Bremer Güterbahnhofes mit etlichen seiner Arbeiten vertreten. 'Traum(a), die Phobie als Muse' ist ein Kernthema der Ausstellung.
Zeit seines Lebens stand Olaf Marxfeld dem etablierten Kunstbetrieb distanziert und kritisch gegenüber, wie dieser ihm seinerseits lange die künstlerische Anerkennung verweigerte. Nun finden wir ihn in sechs kleinen Waagehäuschen gleich gegenüber den Ständen des Neuen Museum Weserburg, des Oldenburger Kunstvereins, der Kunsthalle Bremen und der Kunsthalle Wilhelmshaven, des Kunstvereins Hannover und des Horst-Janssen-Museums Oldenburg, wo er seine Wahrheit verteidigt.

Olaf Marxfeld lebte und arbeitete von 1959 bis 1992 vor allem in Wilhelmshaven. Er studierte Kunstgeschichte und Soziologie und arbeitete neben der Malerei mit Photographie, mit Gedichten und Kurzgeschichten, mit Musik. Es gab Einzelaus-stellungen u.a. in der Galerie M und der Kunsthalle Wilhelmshaven, in Lodz und in Warschau sowie Retrospektiven im Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Hannover und im Stadtmuseum Oldenburg.

Texte zu den Arbeiten

„was gibt es von der welt zu wissen. willst du das paradies, ist sie es. willst du schreckgespenster, ist sie es. willst du nichts, ist sie nicht oder öde und leer. willst du gott, hat sie einige hervorgebracht. Es bleibt die wahl. willst du sie ohne gott, dann gehe siebzehn schritte vor, drei nach links, fünf links, vier rechts, zwölf links und sieben links: dort steht er in guter maskerade, heisst vielleicht wahrheit und ist genauso diffus. manchmal sagt er dann: zwei runden aussetzen. wieder zeit zu überlegen, was es zu wissen gibt und was zu wollen.“ (Olaf Marxfeld)

„Olaf Marxfeld zeigt Portraitstudien, wilde Elemente aggressiver Selbstbefragung; der Blick geht nach innen und kündet von tiefgreifenden Erfahrungen: Die sezierte Seele in schonungsloser Radikalität. Bilder von einem, der sich sucht und sich nur in den Sezierungen vieler Toter-Untoter findet. Er stülpt sein Ich in diese imaginären Portraits der sich zersetzenden Wesensheiten, in die sich zersetzenden Gesichter, in die er sich hineindenkt und hineinfühlt: er empfindet diese funktionierende Welt um sich herum auch als tot, oder, wie ein anderer Künstler dieser Epoche schrieb: ‚Je mehr die Bilder uns gleichen, desto mehr gleichen sie Leichen.’ Es geht also nicht nur um vieldeutbare akribische Dossiers des ganz persönlichen Innenlebens. Der Versuch, aus dem wabernden Nebel des Nicht-Seienden Gestalten mit klaren Konturen herzuarbeiten, scheitert. Selbst das Beiwerk bleibt ohne hart-weich-Kontraste. Sichtbar werden bloß Schemen: embryonales Vor-Leben und Stadien eines Selbstauflösungsprozesses. Der Mensch in der Gestaltwerdung und in der Auflösung – ohne die entsetzliche Glätte der Werbegrafiker der Hoch- und Trivialkunst. Diese Köpfe sind Verwesungsstilleben. Marxfeld spiegelt uns und den Zustand des Planeten: memento mori. Durch den Firnis seiner Bilder hindurch sehen wir einen Erschrockenen und erschrecken dabei selbst. Vieles bleibt offen, in das wir uns selbst hineingeben können und müssen. Als läge da etwa ein Totenschädel, in Jahrhunderten vom Schimmel geradezu kokonisiert. Als liefen wir im Altweibersommer im Wald durch dichteste Spinnennetze: dieses Gefühl für einen Moment lang, das eigene Gesicht sei ganz zugeklebt – die Hände befreien es, die Klebrigkeit an den Fingern ist spürbar.
Uns gefällt die Offenheit der Bilder, die eine Rezeption nicht eng vorgibt und dem Betrachter viel eigenen Raum bietet. Es ist eine schöne Einladung, sich ein eigenes Bild zu machen, das bekanntlich ja zuletzt immer erst im Kopf des Betrachters – und dort immer wieder neu – entsteht. Nehmen Sie die Einladung an.
Das Konkrete des Gefühls kommt auch in der Technik zum Ausdruck: der formale Reiz entsteht nicht zuletzt durch die verschiedene energetische Behandlung: Olaf Marxfeld legt ein bisschen an, spritzt die Farbe, tupft und verreibt mit dem Schwamm, wischt erneut. Durch die verschiedene Motorik entsteht eine Spannung lebendiger Formen und Farben, die unterschiedliche Energie determiniert die Struktur und bleibt in ihr sichtbar. Die Bilder bestehen auf ihrer Ausflockung.
Es ist volle Malerei auch in dem Sinne, dass Olaf Marxfeld den Fragen, die die Linie als mögliche und nötige Entscheidung stellt, eher ausweicht; er gibt sich ganz den Problemen des Malvorgangs hin. Ermutigt durch die Anfangserfolge, gleichzeitig aber auch frustriert durch die Enge dieses Erfolges hat er noch besessener gemalt. Unbestritten definiert sich der Berufsmaler aber nicht nur durch die Zahl der Pinselstriche, sondern durch den Gehalt, durch Substanz, durch Qualität. Kunst ist Ausdruck des ganzen Menschen, ist kein entfremdetes Handwerk. Nachdenklichkeit gehört dazu.
Nachdem Olaf Marxfeld immer wieder obsessionell die eigene Betroffenheit auf die Leinwand tropfte und schmiss, zeigt eine zweite Phase weniger Sensibilität und Verletztheit, vielmehr Grobes und eine neue Robustheit. Olaf Marxfeld malt jetzt den formalen Panzer, der sich bei den meisten Menschen wie ein Charakter über ihr Wesen legt. Im Gegensatz zu den Sezierungen – auch des eigenen Ichs – in der vorhergehendem Phase malt er jetzt eher zu. Was er in früheren Bildern offen legte, das verdeckt er jetzt auch. Er scheit sich selbst so auch zu schützen. Die Bewegung in den Bildern versucht, die Schuppenstruktur zu zerreißen, aufzusprengen. Sichtbar ist ein Wandel im Sujet: es sind nicht mehr Köpfe in ihrer sezierten Deutlichkeit, es können Berge sein oder Holzklötze, durch verkniffene Augen gesehene Mühlen mit Rädern, kubische Formationen. Natürlich ist das auch ein Verlust des Leibes als Tempel und Abort der Seele, was uns da zugemauert und hermetisch geschlossen entgegenkommt. Die Dantische Hölle in Sart’rischer Spiegelung, der Totenreigen unserer Gesellschaft, die modern aufbereitete Höllenversion der Verdammten, im wohlverstandenem Sinne dekorativ, von düsterer Farbenfreude. In verschiedenen Beleuchtungs- und Kamerawinkeln sehen wir ein und denselben Materiehaufen. Alles Masken, sie sind wirklich tot, sind Verschüttete.
Natürlich kokettiert Olaf Marxfeld hier auch mit seiner Aufnahme in die Innung moderner Kunstmaler. Jung, wild, gegenständlich, expressiv, expressionistisch ist der Stil.
Der polnische Maler Witciewicz, der Olaf Marxfeld sehr interessiert, behauptet, die Eigenschaft einer jeden Kunst bestehe darin, dass ihre Werke eine Art formale Konstruktion hätten, die unabhängig vom Inhalt oder gerade infolge dieses Inhaltes unmittelbar auf den Betrachter hin wirke. Eben das und nur das bezeichnet er als ‚reine Form, die zu konstruieren das einzige Ziel und die einzige Aufgabe des echten Künstlers sein sollte’.
Das Schneeballsystem mit dem Strich, mit dem Thema, zeigt uns, dass der Mensch ein in Serie hintereinander und parallel geschaltetes, austauschbares, zerstörtes Seelenzerwürfnis ist, und dies ist die Botschaft fast jeder künstlerisch zu nennenden Betätigung heute. Wer von der Akademie herkommend versucht, Kunst zu machen, also nicht Bodensee-Bilder fürs Kaufhaus herstellt, macht es so, letztlich. Natürlich stellt sich die Frage, ob das nicht auch zu wenig ist: das ist ja unser Leben, das kennen wir schon, das erleben wir jeden Tag. Nicht, dass wir sagen wollten, dass die Kunst uns erheben solle, irgendwohin, in diesem neunzehnten-Jahrhundert-Sinn: das Schöne, das Edle, aber Kunst muss auch eine Gegenhoffnung bilden. Olaf Marxfeld verweigert uns bislang diese Utopie. Mit der Sehnsucht, dass ein ganzer und letztlich auch heiler Mensch auf uns zukommt, lässt er uns hier allein und will uns vielleicht gerade dadurch bewegen, ja geradezu nötigen, uns selbst einzusetzen und eigene Wege in diese Richtung zu suchen und zu begehen.
Erneut: Machen Sie sich ein eigenes Bild.“
(Arnulf Meifert, Klaus W. Becker, 15. 10.1988)

„Olaf Marxfeld hat in den achtziger Jahren in Wilhelmshaven gelebt und gearbeitet. Er war ein kritischer junger Mann. Er wollte sich nicht mit den Ungerechtigkeiten einer wie auch immer gearteten Gesellschaft abfinden. Allein dieses Nicht Hinnehmen Wollen hat ihn von anderen Menschen nicht nur in Wilhelmshaven unterschieden.
Wahrscheinlich verraten seine Bilder mehr über ihn, als viele Worte, wenn denn die Bilder entsprechend gelesen werden.
Im Mittelpunkt seiner Malerei steht die Figur, und diese steht für den Menschen. Es gibt Bilder, in denen Gesichter erkennbar sind, so präzise, dass man die Person erkennen könnte, die Modell gewesen ist. Diese Arbeiten belegen, dass der Künstler sich nirgendwo auf irgendeine stilistische Masche eingelassen hat, um seine angeblichen handwerklichen Defizite zu kaschieren, sondern dass die Verwischungen und Abstraktionen der Köpfe in anderen Bildern bewusste Distanzierungen sind, hinter denen sich Aggressionen, Schmerz, Leid, Traurigkeit, Angst verbergen, insgesamt wohl eine Lebensunlust, die zu einer großen Belastung führte.
Wir sollten uns nicht im Reich der Spekulation verlieren, zumal Olaf Marxfeld einige Bilder gemalt hat, die diesen Hang zur Traurigkeit nicht haben: Sie sind aus leichten hellen Farben entwickelt, teilweise ganz ungegenständlich, jedenfalls ist es nicht leicht, etwas Dingliches oder Figuratives in ihnen zu sehen. Zu vermuten sind Assoziationen, die insgesamt eine bruchstückhafte Gegenwart andeuten. Nicht zuletzt hindern die kräftigen und klaren Farben in anderen Bildern, die Motivik ausschließlich in den Zusammenhang mit kritischen Aspekten zu bringen, auch wenn das Menschenbild sich in einem Farbschwall auflöst. Hier dominieren subjektive und spontane Pinselzüge.
Daneben tauchen Wörter auf, die eine Randwelt anklingen lassen, eine Scheinwelt, wie es den nüchtern orientierten Betrachtern der Bilder scheint, eine Welt voller Imagination, eine Gegenwelt zur Realität. Wir haben es mit Bildern zu tun, in denen diese Welt weniger für andere entwickelt wird als das sie Ausdruck ist der eigenen subjektiven Vorstellungen des Künstlers. Eine Welt für sich - das wäre wohl falsch gesehen, denn Olaf Marxfeld verknotet diese scheinartige Figurenwelt mit der realen, in der er lebt. Zweifellos entstehen dabei einander widerstrebende Kräfte, die zu beherrschen große Kraft kostet. Die Bilder selbst, die Art, wie mit Farben umgegangen wird, deuten Spannungen an, die den einfachen malerischen Vorgang in eine Gestik der Abwehr oder der Befreiung verwandeln.“

(Jürgen Weichardt, Oldenburg 2008)

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