Mama isst den Tod Kunsthistoriker Dr. Uwe Rüth

Der Kölner Kunsthistoriker Dr. Uwe Rüth über den Portraitfilm von Monika B. Beyer und die Künstlerin Martina Werner.

„Hier ist die Realität der Welt – da die Realität der Kunst, sprich:
Das Bild von der Welt –
Es ist eine platonische Frage, die beiden Realitäten auseinander zu halten.
Sie sind unlösbar miteinander verknüpft.“

(Karl Gerstner)

Die Welt der Künstlerin und die des Menschen Martina Werner ineinander zu verweben und sie zu einer Einheit zu verfestigen, gelingt in dem monografischen Film meisterhaft. Der auf Berichten, Interviews, Einschätzungen und Erlebnissen wie auf Dokumentationen der künstlerischen Äußerungen Werners aufbauende Film hat nichts Aphoristisches: Er selbst wird zu einem ganzheitlichen Bild eines Lebens, das tastend und suchend durch die Realität der Welt führt und diese mit einer breiten künstlerischen Durchdringung verrätselt und hierdurch gleichzeitig durchsichtiger macht. Von der Flucht aus dem bürgerlichen Leben in die dichterische Welt ihrer Monogramme, von dort in die Enklave künstlerischer Selbstfindung auf den Balearen und der Entwicklung eigener künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten bis zur Rückkehr nach Deutschland mit dem neuen Bewusstsein, Leben und Tod, Vergangenheit und Zukunft im „Augenblick und seiner Dauer“ festhalten zu können. So wird uns Martina Werner als suchende und findende Weltdeuterin vor Augen geführt. Der lange Weg. Das weite Land., der Titel der großen Aktion zum 100 jährigen Jubiläum des Künstlerdorfs Worpswede 1989, kann gleichzeitig als Titel ihres Lebenswerks gelten.

Besonders in ihren performativen Rezitationsdarbietungen der Monogramme zeigt sich die gebündelte Energie und der unbedingte Wille der Künstlerin. Die staunenswert entwickelten darstellerischen und stimmlichen Leistungen, durch welche die Intensität der Inhalte den Zuhörer und Betrachter erreicht, überzeugen. Mit der weiteren klanglichen Umschreibung der Darbietungen durch den kongenialen Objektkünstler und Musik-Performer Klaus van Bebber – in intensiven Diskussionen zwischen den Partnern sorgfältig erarbeitet - erfuhren die Auftritte eine entscheidende rhythmische und akustische Erweiterung: „Als Hörer taucht man in die Fluten der akustischen Eindrücke, zwischen Wort- und Tonwellen gibt es kein Aufatmen, nur Versinken“, schrieb eine faszinierte Kulturjournalistin. Schon in dem Nachwort zur Neuauflage der Monogramme 1986 sprach ich von dem „Phänomen Martina Werner“: „Sie, die wirkt wie das ursprüngliche schöpferische Chaos...und wie der liebste Mensch..., schreitet durch die künstlerischen Welten – Lyrik, Malerei, Naturkunst, Installation, Performance, Video - umfasst sie, prägt und annektiert sie für ihre welterfassende Sicht“.

So sehr Martina Werner auf ihrem „langen Weg“ auch immer wieder suchte und zauderte, unschlüssig wirkte und an sich selbst zweifelte, so sehr sind die endgültigen Ergebnisse dann doch gekennzeichnet von einer überzeugenden Stringenz und einer einfachen Direktheit, von der magischen Kraft ihrer Darstellungen und deren Ursprünglichkeit. Das Langzeit-Projekt und Gesamtkunstwerk Senor Mendoza und der C-Stamm, das lange die Kunst-Ausstellungen Werners bestimmte, ist wohl ihr bekanntestes Beispiel im Bereich der Bildenden Kunst für dieses Wirken.

Monika B. Beyer gelingt es, die eindringliche Wirkung der Kunst Martina Werners, und damit auch ihre Persönlichkeit, in einer erstaunlich ruhigen und unaufdringlichen aber eindrucksvollen Weise in dem Film zusammenzufassen, formal in zeitlich gut bemessenen Sequenzen zu collagieren und durch aufklärende und um- und beschreibende Beiträge von Zeitzeugen, Freunden, Kollegen und Fachleuten zu belegen. Mag auf den ersten Blick auch der Film für eine Künstlerbiographie mit 87 Minuten lang erscheinen: er ist jedoch keine Minute zu lang. Die Spannung hält von der ersten bis zur letzten Sekunde und es gibt keinen Moment der Langatmigkeit.
So erhält die 2018 verstorbene Martina Werner einen dem Werk und Leben angemessenen, überzeugenden Nachruf: Dank hierfür sei Monika B. Beyer und Peter Kuhweide.

>was sich einprägt
Ist nicht Dauer
was sich einprägt
Ist nicht Augenblick
was sich einprägt
ist eines Augenblicks Dauer<

(Martina Werner, Monogramme I, I)

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