Töne sehen, Bilder hören von Maike Freund

Dokumentationen und Dramen im Bonner Kunstmuseum: Filme junger Künstler zum Thema "Macht.Musik" haben zum Auftakt des Festivals Premiere

(Maike Freund) Bonn.
Das Rauschen von vorbeifahrenden Autos auf der Autobahn. Manchmal sind sie auf der Leinwand auch zu sehen. Ein blaues Schild. Sonst Bilder von Wiesen, Kiefern, Hügeln und eine Stimme, die erzählt.
Und weil der Erzähler nicht zu sehen ist, wirkt die Geschichte noch eindringlicher: 1945 kam er als Kriegsgefangener in die Sowjetunion, im Lager fand er ein Akkordeon und begann zu spielen, einen deutschen Schlager. Die Offiziere waren so begeistert, dass er Konzerte geben und sogar auf Tournee gehen darf.

Und dann endlich - nach einigen Minuten erst - richtet sich die Kamera auf Helmut Reed, den Erzähler, der mit Hilfe der Musik überlebt hat. "Weltgetriebe" von Hagen Klaile ist einer der Kurzfilme, die sich im Rahmen von "Look at Beethoven" mit dem Thema Macht und Musik beschäftigen. Entstanden ist ein eindrucksvolles und überzeugendes Porträt, ein experimenteller Dokumentarfilm, der fasziniert.

Das Projekt gibt es nun schon zum dritten Mal. Junge Filmemacher, Studenten und Künstler thematisieren mit experimentellen Ansätzen dieses Jahr zum ersten Mal die Beziehung von Macht und Musik in Filmen. Neu dabei ist, dass daraus - um die Grenzen zu erweitern und neue Teilnehmer zu gewinnen - ein mit 10 000 Euro prämierter Wettbewerb geworden ist.

Die sechs besten Kurzfilme zum diesjährigen Thema "Macht.Musik" feierten nun als Auftaktveranstaltung zum Beethovenfest im Kunstmuseum Premiere und werden auch noch während des Festivals im Museum zu sehen sein. Wichtig für die Jury ist "der eigene Blick auf Beethoven", sagt die Intendantin des Beethovenfestes Ilona Schmiel. Und der ist in den ganz unterschiedlichen Ansätzen auch zu sehen.

Wie würde es mir eigentlich gehen, wenn ich als Filmemacher mein Augenlicht verlieren würde? Über die Frage hat Philipp Wenning, Jahrgang 1985, lange nachgedacht, als er sich mit Beethoven und dem Wettbewerb beschäftigt hat. "Ich habe mich in Beethoven reingedacht, habe versucht zu verstehen, wie es ist, Musik zu komponieren, Musik zu dirigieren, ohne die Töne hören zu können", sagt er. Und dann war er von seiner Idee begeistert, war diese Idee stärker als alles andere: Die Bilder einfangen zu lassen von blinden Kameramännern.

Herausgekommen ist "Discussion", ein siebenminütiger Schwarz-Weiß-Film, gedreht von Kameramännern, die nicht sehen können. Das Thema: Eine Pressekonferenz. Allerdings in keiner bestimmten Sprache, auch nicht zu einem bestimmten Thema.

Die Schauspieler sprechen ein Fantasie-Kauderwelsch, ein bewusster Verzicht auf verständliche Sprache. "Der Film sollte unpolitisch, keinem Land zuzuordnen sein, ich wollte ihn offen und universell lassen", sagt Wenning. Auch noch wichtig: Die Kameramänner sollten sich nicht nach den Inhalten der Wörter richten können, sondern allein den Lauten folgen.

Und dann die Musik. Beethovens Mondscheinsonate begleitet die Bilder, manchmal untermalend als Filmmusik, manchmal dem Geschehen auf der Leinwand entgegengesetzt. Während die Journalisten sich immer wilder gebärden, die zu Interviewenden ausrasten, klingt die Musik des ersten Satzes der Mondscheinsonate noch immer sanft.

Manchmal so sanft, dass sie fast nicht mehr zu hören ist. "Bevor ich wusste, dass ich mit blinden Kameramännern drehen wollte, habe ich mich schon mit der Musik beschäftigt", sagt Wenning. Und hat sich entschieden, die Satz-Reihenfolge der Sonate zu ändern, mit dem zweiten zu beginnen und den ersten Satz an den Schluss zu stellen.

Und so reihen sich Bilder an Bilder, die meist die agierende Person sehr genau porträtieren. Die Kamera folgt den Geschehnissen problemlos. Nur ab und zu gibt es ein paar angeschnittene Gesichter oder Köpfe, unterlegt mit Musik. Der Blick Blinder auf Beethoven eben.

"Discussion" ist ungewöhnlich, ideenreich und mitreißend, und wer vorher weiß, dass Blinde die Kamera führen, der kann den Spielfilm noch aus einem anderen Blickwinkel betrachten - kann noch genauer verfolgen und staunen, wie präzise die Bilder sind.

Alle Filme werden während des Festivals vom 29.8 bis 28.9 im Foyer des Kunstmuseums gezeigt. Der Eintritt ist frei. Öffnungszeiten des Museums: Dienstag bis Donnerstag 11 bis 18 Uhr, Mittwoch 11 bis 21 Uhr.

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