Filmstart 09 Die Stipendien 2023/2024
Die Fachjury wählte dieses Jahr sechs Projekte zur Förderung aus.
Seit 2015 werden über das Bremer Projektstipendium Filmstart künstlerische Filme und Nachwuchsfilmprojekte mit bis zu 10.000 Euro unterstützt. Die Mittel werden von Nordmedia zur Verfügung gestellt, die Abwicklung läuft über das Filmbüro. Ziel von Filmstart ist die Förderung von filmkünstlerischen Projekten und die Förderung des Nachwuchses im Sinne der Professionalisierung. 30 Projektideen waren dieses Jahr eingereicht worden, davon 43% von Frauen.
Die Jury
Wie üblich lud das Filmbüro eine unabhängige Fachjury ein, um über die 30 eingereichten Projekte zu entscheiden. Dieses Jahr waren das:
Julia Niethammer, Produzentin bei Chromosom Film, Berlin
Hajo Schomerus, Kameramann und Professor an der Internationalen Filmschule Köln, ifs
Barbara Schweizerhof, Filmkritikerin, Berlin/Frankfurt am Main
Grundlage für ihre Entscheidungen sind künstlerische und filmfachliche Gesichtspunkte. Zwei Tage lang befasste sich die Jury mit den Anträgen und diskutierte jeden einzelnen. Anhand der so zusammengetragenen fachlichen und formalen Einschätzungen der Jury gibt das Filmbüro auf Wunsch den Antragssteller:innen eine Rückmeldung zu ihrem Antrag, die dann für folgende Anträge genutzt werden kann. So trägt jede Jury zur Professionalisierung der Bremer Filmszene bei.
Angesichts der diesjährigen Anträge hat die Jury festgestellt, dass die Bedeutung der Projektentwicklung und Recherchearbeit, die in Förderstrukturen oft nicht ausreichend abgebildet ist, gerade in einer Förderung für den künstlerischen Film wie Filmstart extrem wichtig ist, um konsequentes künstlerisches Arbeiten zu ermöglichen. Dementsprechend fiel auch ihre Entscheidung.
Aus der Vielfalt der Projekte wählte die Jury sechs Projekte aus. Da ist die Recherche einer Künstlerin zum Thema „Heimweh / Maladie Suisse" und eine fiktionale Annäherung an den Umgang mit Depression innerhalb der Familie. In die Ferne blickt die Suche nach den verlorenen Stränden auf den Kapverdischen Inseln und im übertragenen Sinne auch die Recherche über das Wissen der Mitteleuropäer:innen über die jüngere Vergangenheit Afghanistans. Eine Materialsicherung zu den wilden Streiks türkischer Arbeiter 1973 schafft die Grundlage für deren Aufarbeitung und ein Tanzfilm wird das Thema Flucht auf künstlerische Weise aufnehmen.
Wir können gespannt sein.
Die geförderten Projekte:
Le Hemwé
Essayfilm von Elianna Renner, Bremen
5.500 € Förderung der Projektentwicklung
Die Film-Recherche setzt sich sowohl mit der Geschichte der Maladie Suisse (Schweizer Krankheit) als auch der Geschichte des Heimwehs auseinander. Der Begriff Maladie Suisse stammt aus dem 17.Jh. und beschrieb Schweizer Söldner, die in der Fremdenlegion an Heimweh erkrankten.
Jurybegründung:
Was hat eine Schweizer Kuh mit Heimweh zu tun? Das wollen wir wissen und vor allem sehen und erleben. Wir freuen uns über ein Projekt, das einen originellen und eigenwilligen Blick auf das Phänomen Heimweh wirft. Die erfrischende und stimmige Projektvorstellung von Elianna Renner, die historische Recherche mit Experimentierfreude, Humor und persönlicher Erfahrung verflicht, überzeugt uns und macht uns Lust auf einen Film mit ganz eigener künstlerischer Sprache.
Elianna Renner, 1977 in Zürich geboren, in Bremen/Tel Aviv lebende Bildende Künstlerin, arbeitet an der Schnittstelle von Biografie und Geschichte. In ihren Arbeiten imaginiert sie, setzt neu zusammen, verknüpft Fiktives mit „Realem“ und nutzt dazu eine Vielzahl künstlerischer Medien wie Film, Fotografie, Audio, Text, und Installation. Elianna Renner arbeitet seit Jahren an Projekten im internationalen Kontext wie z.B. in New York, Bremen,Buenos Aires, Tel Aviv und Frankfurt.
www.eliannarenner.com
Between the Devil and the Deep Blue Sea
Tanzfilm von Alasdair Jardine, Volker Klein, Helge Letonja
9.914 € Förderung der Produktion
„BETWEEN THE DEVIL AND THE DEEP BLUE SEA“ handelt von Menschen, die durch Umstände, welche sie nicht selbst verändern können, gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. So nahmen sie große Risiken und konkrete Gefahren auf sich und suchten sichere Orte.
Jurybegründung:
In einer künstlerisch sehr schlüssigen Weiterführung ihres Konzeptes entwirft der Projektantrag eine sehr filmisch gedachte Tanzerfahrung. Migrationsbiographien werden nicht nur verarbeitet, sondern Tänzer:innen sind mit ihren persönlichen Erfahrungen als künstlerische Persönlichkeiten in den Prozess auf Augenhöhe integriert, ein Konzept, dass die Jury sowohl nicht nur inhaltlich und künstlerisch, sondern auch im entworfenen Prozess überzeugt.
Alasdair Jardine ist Fotograf und Filmemacher aus Neuseeland, lebt in Bremen und arbeitet seit über 20 Jahren für namhafte Zeitschriften, Agenturen und als Videograph für Europäische Organisationen, Entwicklungsagenturen und Firmen. Seine Arbeit führt ihn regelmäßig in viele Länder der Welt und erfordert dabei ein sehr hohes Maß an interkulturellem Verständnis.
Volker Klein ist Filmkomponist aus Bremen, ist seit vielen Jahren international tätig. So sind seine Arbeiten oft beeinflusst von der lebendigen Auseinandersetzung mit den verschiedensten Kulturen der Welt. Neben Filmmusiken komponiert er auch für den Konzertsaal, die Oper und das Tanztheater.
Helge Letonja ist Choreograph aus Leoben, Österreich, lebt in Bremen und gründete 1996 das „steptext dance project“ sowie 2019 das Ensemble „Of Curious Nature“. Seine international beachteten Arbeiten reflektieren häufig das innergesellschaftliche und kulturübergreifende Miteinander. Letonja erschließt den Tanz als Mittler kultureller Diversität, gesellschaftlicher Teilhabe, interdisziplinärer Kunst und Forschung.
Die wilden Streiks von 1973
Dokumentarfilm von Orhan Çalışır
7.850 € Förderung der Projektentwicklung und Materialsicherung
Im August 1973 traten bei den Ford-Werken in Köln-Niehl tausende Arbeiter in den
Streik. Der Anlass war die Entlassung von über 300 türkischen Kollegen, die aus dem Urlaub spät zurückkamen. Weder die IG-Metall, noch der Betriebsrat unterstützten den Streik. Sie waren vehement dagegen. Deshalb wird der Streik als „wilder Streik“ bezeichnet, oder durch die Springer-Presse als „Türken-Streik“. Träger des Arbeitskampfes waren die über 12.000 türkischen Arbeiter, die fast alle in der Endmontage am Band in der Y-Halle arbeiteten und in den niedrigsten Lohngruppen eingestuft waren. Eine vor allem von den Gewerkschaften noch nicht aufgearbeitete bundesrepublikanische Geschichte.
Jurybegründung
Es ist ein Stück bundesdeutscher Arbeitergeschichte, das es unbedingt verdient, bekannt und sichtbar gemacht zu werden. Wobei nicht allein die historischen Fakten des Streiks schon fesseln, sondern auch die Rolle, die Vorurteile und die Marginalisierung von Arbeitsimmigrant*innen sowohl im Kampf selbst als auch in der Geschichtsschreibung dazu spielen. Die Dringlichkeit der Materialsicherung heute, 50 Jahre nach den Ereignissen, ist absolut offensichtlich, zur schnellen Umsetzung des Vorhabens möchte die Jury sehr gerne beitragen.
Orhan Çalışır absolvierte nach dem Ökonomie-Studium absolvierte eine Journalistenfortbildung. Danach war er viele Jahre als Reporter vor allem für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten tätig, unter anderem für Funkhaus Europa. Er arbeitet als freier Dokumentarfilmer und Autor in Bremen. Seine Themen sind Umwelt, kulturelle Diversität, Arbeitsleben und Migration. Zurzeit arbeitet er an einem Film- und Ausstellungsprojekt über die „wilden Streiks von 1973“. Diese Streiks wurden federführend von Arbeitsmigrant:innen, vor allem von türkischen Arbeiter:innen, getragen. Sie waren eine Zäsur in der Geschichte der BRD und der Migrationsgeschichte des Landes. In seiner Erwerbsarbeit ist er in den letzten Jahren als Ausbildungsberater tätig.
A Piece of the Sea
Dokumentarfilm von Ren Evora
4.900 € Förderung der Projektentwicklung
Mit den Mitteln des künstlerischen Dokumentarfilms werden die Hintergründe und die Folgen der Kolonialisierung der Ozeane erforscht. Im Fokus stehen Menschen auf den westafrikanischen Kapverdischen Inseln und im Senegal, deren Leben in unterschiedlicher Form mit der ansässigen Fischerei verbunden ist. Die EU-subventionierte Überfischung führt zur Vernichtung der Lebensgrundlagen dieser Menschen vor Ort. Eine von vielen Folgen sind Migrationsbewegungen in die EU. Am Rande werden Bremerhaven und Bremen in ihrer Rolle in der Infrastruktur der Ausbeutung, aber auch als Ziel der Emigration betrachtet.
Jurybegründung:
Um zu verstehen wie wir als Steuerzahler und Konsumenten zu drastischen Veränderungen von Landschaften, Orten und Lebensumständen beitragen bedarf es mutiger Filmemacher:innen, die sich an diese Orte begeben, Menschen treffen und ihre Lebensrealität abbilden. Ein künstlerischer Dokumentarfilm steht und fällt mit seinen Protagonisten, aber auch mit einem starken visuellen Konzept. Um dieses zu entwickeln und eine eigene Filmische Sprache zu finden unterstützen wir Ren Evora in der Recherche für ihren Dokumentarfilm.
Ren Evora is an artist and filmmaker based in Bremen, Germany.
Ein Blick zurück
Dokumentarfilm von Jacqueline Peters
2.000 € Förderung der Projektentwicklung
Ein Blick zurück soll die Diskrepanz zwischen den Lebensrealitäten von jungen Frauen aus Afghanistan heutzutage im Vergleich zu jenen, die ihr Land schon viel früher verließen erforschen. Mit der Projektentwicklung für einen künstlerischen Kurzfilm, basierend auf dokumentarischen Geschichten, soll das Lebensgefühl von Frauen auf der Flucht generationenübergreifend eingefangen werden und eine visuelle Form der Sichtbarmachung der Situation in Afghanistan und im Exil entwickelt werden.
Jurybegründung:
Jaqueline Peters' Fragestellung hat die Jury auf Anhieb überzeugt: Afghanische Frauen mit Fluchterfahrung nicht auf letzteres zu reduzieren, sondern im Befragen verschiedener Protagonistinnen Generationsunterschiede und daran auch vergessene Geschichte deutlich zu machen. Das Projekt verspricht so spannend wie aktuell zu werden.
Jacqueline Peters, Filmemacherin aus Bremen, schloss 2023 ihren Master in Transnationale Literaturwissenschaften mit der filmpraktischen Masterthesis Migration, Gender und Film, dokumentarischer Film als kunstbasierte Forschung ab. Seither setzt sie sich mit (queer-)feministischen, emanzipatorischen und filmischen Konzepten auseinander. Von 2020 bis 2021 lebte sie abwechselnd in Bremen und Thessaloniki, studierte dort für ein Auslandssemester am Institut Film und Literatur der Aristoteles Universität und engagierte sich zusätzlich für Frauen und Mädchen auf der Flucht. Es entstanden dabei filmdokumentarische Porträts, in denen die Protagonistinnen kollaborativ und partizipativ mit der Filmemacherin zusammenarbeiteten.
Solang ein Stern am Himmel steht
Spielfilm von Maria Manasterny (Regie) und Roshan Margraf (Produktion)
6.000 € Förderung der Produktion
Es ist ein Sommer, in dem der Familienvater wie offenbar jedes Jahr eine depressive Episode hat, in deren Verlauf er einen erweiterten Suizid androht. Fast schon routiniert flieht die Familie für einige Tage zur Oma und kehrt ebenso routiniert wieder ins Haus zurück. Der Film handelt von der Normalisierung von Gewalt im Alltag einer Familie und portraitiert diesen in atmosphärisch dichten Bildern zwischen Sommereis und Abenteuern in der Sonne einerseits und klaustrophobischer Angst vor der Katastrophe andererseits.
Jurybegründung:
In diesem Projektantrag überzeugte besonders die geplante filmische Umsetzung, die in einer überzeugenden Visualität den literarischen Entwurf erweitert. Der geplante Film soll in einer poetischen, auch ironischen Distanz einen ungewöhnlichen künstlerischen Zugang zur Reflexion über ein gesellschaftlich relevantes Thema eröffnen. Die Jury überzeugt dieses Konzept von assoziativer Narration, visuellem Entwurf und Thematik.
Maria Manasterny hat Literaturwissenschaften, Philosophie und freie Kunst studiert. Sie schreibt, zeichnet, collagiert und filmt. In ihren Animations- und Realfilmen zeichnet sie zwischen Wirklichkeit und (alb)traumartigen Elementen, zwischen Heimeligem und Unheimlichem gesellschaftliche Machtstrukturen nach und beleuchtet deren Auswirkungen auf die Einzelnen und ihre Handlungsspielräume. Ihre Filme wurden im In- und Ausland gezeigt, u.a. beim Tehran Filmfest, dem Europäischen Medienkunstfestival (EMAF), dem Interfilm Berlin und dem Lübecker Filmfest.
Roshan Margraf hat freie Kunst in Bremen studiert und arbeitet im Bereich Fotografie, Konzeptkunst und Neue Medien. Im stillen und bewegten Bild stehen gesellschaftliche und politische Machtverhältnisse im Fokus der künstlerischen Arbeit.
Die Stipendiat:innen haben nun bis Mai 2024 Zeit, ihre Projekte zu realisieren. Sie werden dabei vom Filmbüro Bremen begleitet und ggf. mit Einzelcoachings durch Bremer Filmschaffende unterstützt.
Ausschreibung 2023 Die wichtigsten Richtlinien
Bevorzugt werden
– bislang noch nicht unterstützte Vorhaben und nicht primär auf Verwertbarkeit orientierte bzw. künstlerische, kleinere oder schwierigere Filmprojekte und solche, die der Professionalisierung dienen,
– die freie Filmszene des Landes Bremen sowie der lokale Filmnachwuchs,
– Projekte, die innerhalb von 12 Monaten abgeschlossen werden können.
Im Zentrum steht der Bereich Produktion; auch Projektentwicklung, Vertrieb und Abspiel können unterstützt werden.
Das Filmbüro Bremen ist für die Umsetzung des Programms zuständig, die Gelder werden von nordmedia zur Verfügung gestellt. Die gemeinsam bestimmte unabhängige Fachjury tagt jeweils im April/Mai.
Antragstellung bis 15.03.2023
Jeder Antrag soll in einer PDF zusammengefasst folgende Elemente enthalten:
1) Antragsformular: Formular FILMSTART 09.pdf
2) Projektskizze (gesamt < 15.000 Zeichen) bestehend aus: Kurzsynopsis, Projektbeschreibung, Persönliches Statement, detaillierter Kosten- und Finanzierungsplan (hier gibt es die Honorarempfehlungen des Filmbuero ).
3) ggf Drehbuch,
4) Umsetzungs- und Zeitplan,
5) Bio-/Filmografie, sowie
6) ggf. Links zu einer visuellen Arbeitsprobe (ca. 10 Minuten)
Wir empfehlen eine Antragsberatung im Filmbüro!
Filmbüro Bremen - Saskia Wegelein
Mail: (Email-Adresse)
Telefon: 0421-7084891